Analyse von Luft und Satellitenbildern zur automatischen Ermittlung der Bodenversiegelung städtischer Siedlungsbereiche: DFG-Bericht II


Ziel dieses Projektes ist es, neue Verfahren zur automatischen modellgestützten Auswertung von Luftbildern zu entwickeln. Für eine Bildstrukturerkennung wird neben der Verwendung von zwei- und dreidimensionalen Objektmodellen zusätzlich Kontextinformation verarbeitet. Als Kontextinformationen werden kartographische Darstellungen des Bildgebietes verwendet. Die von den Projektpartnern FIM und IPF vorgeschlagene Vorgehensweise zur kartengestützten Bildanalyse ist zweistufig. In der ersten Stufe erfolgt eine Verifikation der aus der Karte bekannten Objekte im Luftbild. In der nachfolgenden Stufe ist eine Klassifikation der nicht bearbeiteten Objekten des Luftbildes vorgesehen. In dem vorliegenden Zwischenbericht wird beschrieben, wie durch die Bildanalyse Objekte verifiziert werden und dazu das Wissen aus einer zum Luftbild korrespondierenden Karte eingesetzt wird. Die zu analysierenden Objekte wurden zwischen FIM und IPF so aufgeteilt, daß vom FIM vorwiegend Straßen und Gebäude und vom IPF vorwiegend flächenhaft ausgedehnte Objekte analysiert werden.

Zur Analyse der Straßen und Gebäude wird beim FIM das blackboardbasiertes Produktionssystem BPI eingesetzt. Das Produktionssystem besteht aus einer globalen Datenbasis, einer Systemsteuerung und einer Menge von Produktionen. Die Produktionen geben an, wie eine gegebene Menge von Objekten in ein komplexeres Objekt überführt wird. Die globale Datenbasis ist als Assoziativspeicher realisisert; die Systemsteuerung erfolgt über eine prioritätsgeordnete Warteschlange. Jeder Produktion kann ein Verarbeitungsmodul zugeordnet werden, das spezielle Relationen von Objekten überprüft und bei Erfüllung eine objektspezifische Generierungsfunktion durchführt.

Ein Zielobjekt wird ausgehend von den Primitivobjekten schrittweise durch wiederholte Anwendung von Produktionen zusammengesetzt. Das prinzipielle Zusammenwirken der Produktionen und die stufenweise Überführung von Objekten in Objekte einer höheren Abstraktionsstufe wird anschaulich durch ein Produktionsnetz dargestellt. Die zum Aufbau der konkreten Objekte durchgeführten Zusammensetzungen werden durch Verzeigerungen festgehalten und durch Ableitungsgraphen dargestellt. Der Ableitungsgraph erfaßt alle generierten Zwischenergebnisse (Teilobjekte) und spiegelt den speziellen Ablauf des Analyse- bzw. Synthesevorgangs wider.

Zur Bereitstellung des Kontextwissens für die Luftbildanalyse wird zunächst die digitale Karte analysiert. Dazu werden ein Menge von Produktionen auf die Objekte der Karte angewendet. Das Ergebnis der Kartenanalyse ist ein Ableitungsgraph. Eine anschließende Analyse des Ableitungsgraphen liefert einen reduzierten Graphen zur Bildbeschreibung, den sogenannten Bildbeschreibungsgraphen, der den Karteninhalt durch attributierte Objekte und Relationen beschreibt. Mit dem Bildbeschreibungsgraphen wird die Kartenbeschreibung in verschiedenen Stufen (Bildbeschreibungsstufen) bereitgestellt.

Ausgehend von den im Bildbeschreibungsgraph bereitgestellten Informationen werden Erwartungen für im Luftbild zu generierende Objekte aufgestellt. Zur Aufstellung solcher Erwartungen wird aus dem Bildbeschreibungsgraphen zunächst ein Bildbeschreibungstext generiert, der die erwarteten Objekte in den Bildbeschreibungsstufen mit den Attributwerten ausgewählter Attribute beschreibt. Da durch Störungen Abweichungen erwarteter Attributwerte auftreten können, wurden Toleranzklassen eingeführt und entsprechende Intervalle der Attributwerte (Erwartungsbereiche) definiert. Den Intervallen werden für die Zuweisung eines Wertes unterschiedlich hohe Erwartungen zugeordnet. Ein neu generiertes Objekt erhält durch Vergleich der Attributwerte mit den Modellvorstellungen eine Bewertung m (Modelltreue). Aus den Abweichungen zu den aus der Karte erwarteten Attributwerten wird in ähnlicher Weise eine Bewertung e (Erwartungstreue) bestimmt. Durch ein mengenorientiertes Auswahlverfahren wird aus den Bewertungen e und m die Priorität für die Bearbeitung abgeleitet. Die Bildanalyse kann für diese Verifikationsaufgabe abgebrochen werden, wenn die aus der Karte zu überprüfenden Objekte mit ausreichender Übereinstimmung im Luftbild gefunden werden.

Zur Analyse der flächenhaft ausgedehnten Objekte wird beim IPF ein System auf der Basis des semantischen Netzes ERNEST eingesetzt. ERNEST wurde im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes entwickelt.

Ein semantisches Netz beinhaltet zwei Arten von Wissen: deklaratives Wissen und prozedurales Wissen. Das deklarative Wissen wird in Form von Knoten und Kanten repräsentiert. Knoten sind komplexe Datenstrukturen, bestehend aus einer Vielzahl von Substrukturen. Die wichtigsten Knotenarten sind Konzepte und Instanzen. Ein Konzept repräsentiert ganz allgemein Begriffe, Objekte, Ideen, während Instanzen konkrete Ausprägungen eines Konzeptes sind. über die Kanten können Beziehungen zwischen den Knoten repräsentiert werden. Das prozedurale Wissen beinhaltet Funktionen zur Berechnung von Eigenschaften und zur Bewertung der Knoten und der Kanten, sowie Funktionen zur Steuerung der Analyse.

Die Nutzung des Wissens geschieht in einem semantischen Netz durch den Instantiierungsprozeß. Dabei werden aus den Konzepten unter Auswertung der Sensordaten Instanzen gebildet.

Zur Verifikation der flächenhaft ausgedehnten Objekte im Luftbild wird ein dreistufiges Konzept vorgestellt. Mit Hilfe eines generischen Modells zur Analyse der Karte wird eine Beschreibung der aktuellen Szene im Kartenbereich erstellt. Diese Szenenbeschreibung wird in den Bildbereich transformiert. Durch Kombination mit einem generischen Modell zur Bildanalyse wird automatisch ein für die Analyse der vorliegenden Szene spezialisiertes semantisches Netz erstellt. Mit Hilfe dieses, auf die Analyse der aktuellen Szene spezialisierten Modells wird nun die Bildanalyse durchgeführt. Die Verifikation wird damit nicht in Form eines Vergleichs der Ergebnisse von zwei parallel ablaufenden Analyseprozessen (Karten- und Bildanalyse) durchgeführt, sondern die Ergebnisse des weniger fehleranfälligen Analyseprozesses (Kartenanalyse) werden als Modell für die Durchführung der Bildanalyse verwendet.

Die Szenenbeschreibung im Bildbereich ist das Ergebnis der Analyse des Bildes mit dem zur Anlayse der vorliegenden Szene spezialisierten Modell. Die Instanzen repräsentieren die zu verifizierenden Objekte der Szene. Sie werden durch ihre Koordinaten im Bildbereich, durch objektspezifische Merkmale, die aus den Bilddaten extrahiert werden (z.B. Farbe der einzelnen Objektflächen) und durch einen Gütefaktor beschrieben. Der Gütefaktor gibt an, wie gut die aus dem Bild extrahierten Merkmale mit der Modellvorstellung (der Ausprägung der Objekte im Kartenbereich) übereinstimmen. Damit ist er auch ein Maß für die Verifikationsgüte.

Dadurch, daß die Verifikationsaufgabe mit Hilfe des automatisch aufgestellten semantischen Netzes als ein modellgesteuertes Verfahren konzipiert ist, werden nur für die im Modell (also in der Karte) enthaltenen Objekte Aussagen getroffen. Die Interpretation der in der Verifikationsphase nicht bearbeiteten Bildmerkmale wird in der nachfolgenden Klassifikationsphase vorgenommen.

Die Ergebnisse der von beiden Projektpartnern durchgeführten Verifikationsprozesse sind Graphen, die das analysierte Bild beschreiben. Um ein vollständiges Verifikationsergebnis zu erhalten, werden die von FIM und IPF generierten Beschreibungsgraphen zusammengeführt. Dafür wurde ein gemeinsames Datenformat entwickelt, das sich zur Übertragung von Beschreibungsgraphen eignet.

Den verifizierten und in der gemeinsamen Datenbasis enthaltenen Objekten werden Bodenversiegelungswerte zugewiesen. Dazu werden die in der ersten Phase des laufenden Vorhabens erstellten Tabellen verwendet, in denen eine Zuordnung zwischen Objektklasse und Versiegelungswert enthalten ist.

Zur Überprüfung der entwickleten Verfahren wurden Luftbildaufnahmen eines städtischen Gebietes (Stadt Karlsruhe) verwendet. Die Kontextinformationen wurden aus entsprechenden Ausschnitten einer digitalen Karte (DGK5), die nach Objektklassen getrennt in einem GIS vorliegt, gewonnen. Um die geometrische Information der Karte zu nutzen, erfolgte eine Registrierung zwischen digitaler Karte und Luftbild durch manuelle Bestimmung von Paßpunkten und einer Parameterschätzung zur ebenen Affintransformation. Zur Generierung von Primitivobjekten werden verschiedene Verfahren zur Kantenextraktion und Flächensegmentierung eingesetzt.


Stilla U, Quint F, Sties M (1995) Analyse von Luft und Satellitenbildern zur automatischen Ermittlung der Bodenversiegelung städtischer Siedlungsbereiche: DFG-Bericht II. Ettlingen/Karlsruhe: FIM/IPF
[ Stilla.de/pub ]